Enttrohnt

“Ich mache das, was man von mir erwartet. Alle sprechen seit Mamas Schwangerschaft davon, das ich ein großer Bruder werde. Das erwartet man. Also, bin ich es geworden. Manch einer denkt vielleicht, ich sei zu klein, um das zu machen, was andere erwarten. Nein, das sind wir Kinder nicht. Wir wollen alle nur das eine – gefallen. Geliebt werden. Also tue ich das, was man von mir erwartet.

Es gibt Ausnahmen. Momente, in denen ich trotzig bin, aber grundsätzlich, bin ich der, den Mama erwartet. Mama sagt oft, dass ich “So ein lieber großer Bruder bin” “So eine große Hilfe” ich mache meine Sache gut. Wenn meine kleine Schwester weint, muss Mama sich kümmern. Wir wissen nicht, wann meine Schwester jemanden braucht. Es kommt nur wirklich oft vor. Sie muss viel gewickelt werden. Gestillt wird sie auch viel. Bei allem helfe ich Mama manchmal. Grundsätzlich möchte Mama aber in dieser Zeit ihre Ruhe. Es ist nicht mehr wie vorher.

Das ist okay. Auch wenn ich erst drei Jahre alt werde, spüre ich, was meine Mama möchte. Und ich? Ich möchte ihr gefallen. Nur manchmal provoziere ich. Mache genau das, was Mama nicht möchte oder stelle mich stur. Sie denken, ich bin trotzig, passt in mein Alter – bin ich aber nicht. Zumindest nicht in all diesen Momenten. ”

 

 

Oh mein geliebter Sohn, was war ich blind.

Ich bin so stolz auf dich, wie du bist. Wie du unser Familienleben jeden Tag aufs Neue bereicherst. So stolz, dass mir gar nicht aufgefallen ist, dass auch du nur “gefallen” möchtest. Natürlich war mir bewusst, dass mit der Geburt deiner kleinen Schwester eine große Veränderung über dich hereingebrochen ist. Ich war so stolz auf dich, wie du dich liebevoll um sie kümmerst. Mir bei all dem, was ansteht hilfst, dass ich nie auf die Idee gekommen bin – mich auch mal zu fragen, wie es hinter deiner kleinen Fassade aussehen könnte.

Ich dachte, wenn dir etwas nicht passt, würdest du es uns zeigen. Öfter traurig sein, hauen oder ähnliche extreme Gefühlsäußerungen von dir geben. Das war nicht der Fall. Du wirkst nicht unglücklich. In der letzten Zeit hast du dich immer mehr mit dir beschäftigt. Auch mal alleine gespielt. Nachdem ich meine Scheuklappen abgenommen habe, stelle ich fest, du wolltest uns gefallen. Es reicht eben doch nicht aus etwas mit dem Baby gemeinsam zu tun oder dir etwas Zeit anzubieten in der ich NUR für dich da bin.

 

Wie konnte ich nur so blind sein?

Du als fast drei Jahre alter Junge. Du hast du alles getan, um meine Welt so einfach wie möglich zu gestalten. Dabei bist du doch noch so klein, mein Schatz. Aber ja, natürlich nach genauerem Hinschauen stelle ich fest, das bist genau du. Der sensible, kleine Junge, der schon viel zu früh auf all meine Empfindungen reagiert.

Ach mein Schatz. Nun sitze ich hier, nachdem mir schmerzlich bewusst wird, wie groß doch die Veränderung für dich gewesen ist, und stelle wieder einmal fest, wie sehr ich dich liebe. Dich mein kleiner Junge. Du, der mein Herz im Sturm für dich erobert hast. Schon viel zu lange habe ich all die Anzeichen, die dich belasten nicht gesehen. Du musstest deine Monopol Stellung aufgeben, wie soll das an einem so kleinen Wesen spurlos vorübergehen? Es ist deine erste große Prüfung im Leben.

Die letzte Zeit ging es, um meine Bedürfnisse, um meine Auszeiten. Und ja, ich stehe immer noch dazu, dass auch ich wichtig bin in unserem System. Trotzdem habe ich die Entscheidung für ein weiteres Kind getroffen. Es tut mir leid, dass ich dich nicht gesehen habe. Deine Bedürfnisse. Du warst so ruhig. Es brauchte erst einen neuen Blickwinkel, um genau DAS besser verstehen zu lernen. Jetzt habe ich dazu gelernt.

 

 

..

Der Alltag ist das Wichtige!

Ich ärgere mich so. Aber heute weiß ich, mit dir kann ich reden. Das Baby agiert noch nicht über Sprache. Ich werde wieder als Mutter handeln. Werde meine schützende Hand über dich legen, denn mein Sohn du bist mir genau so wichtig, wie deine Schwester.

Wenn sie meckert, werde ich vielleicht mal sagen: “Och jetzt meckert das Baby schon wieder, ganz schön anstrengend findest du nicht?” Oder ich werde vor dem Stillen erst dir ein Glas frisches Wasser anbieten, damit auch du gut versorgt bist. Anschließend können wir toben, spielen und wir sein. So wie wir es einmal waren. Ich werde lernen müssen im Alltag Alternativen zu finden, um dich mithilfe unserer Sprache als ebenso wichtigen Part in der Familie zu integrieren. Es ist nicht deine Aufgabe uns zu gefallen. Es ist deine Aufgabe deine Kindheit zu leben und meine für dich da zu sein. Und das nicht an besonderen Tagen, sondern im Alltag. An Tagen, die so unwichtig, nichtig erscheinen. Wir können gemeinsam kochen, backen, und während das Baby auch Mal auf der Decke für sich alleine spielt, können wir zwei toben.

Es ist eine viel größere Veränderung großer Bruder zu sein, als es mir bewusst gewesen ist. Du musst die Situation nicht nur toll finden. Es ist okay, wenn dich das manchmal ganz schön wütend macht nicht mehr alleine bei uns zu sein. Das bedeutet Veränderung und Veränderungen sind oftmals ganz schön beschwerlich. Zumindest, wenn man nicht einmal der Jenige war, der diese Entscheidung getroffen hat. Mein Sohn darf ich dir meine Hand reichen, um gemeinsam mit dir zu spielen? Es wäre mir eine Ehre!

 

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Tags: Bruder, Familie, Familie Blog, Gedanken Mama, Mama Blog, Mutter Sohn

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Ich bin 34 Jahre jung. Mama von zwei Kindern. Einem Sohn (01/14) und einer kleinen Tochter (08/16). Gemeinsam leben wir am Stadtrand von Köln. Streifen durch die Wälder, kochen, backen und tanzen zusammen. Meinen Blog gründete ich an einem kühlen Februarmorgen im Jahr 2014, als ich nach der Geburt meines ersten Kindes wieder einmal dachte: "So wir mir, geht es sicherlich vielen anderen Eltern da draußen, wieso spricht denn keiner darüber?" In diesem Augenblick traf ich den Entschluss und offenbahrte meinem Partner: "Liebling? Ich blogge - jetzt!" und das war die Geburtsstunde meines Mamablogs. Schön, dass Du den Weg zu mir gefunden hast!
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Comments

    • Sarah
    • 10. November 2016
    Antworten

    So ein schöner Text, Alina. Und du hast recht, irgendwie versuchen wir die Erstgeborenen zu sehr einzubinden. Wir denken sie brauchen das, um sich wahrgenommen zu fühlen. Dass die Kinder aber am liebsten einfach ihr eigenes Leben weiterleben möchten, beachten wir gar nicht. Danke für den Perspektivenwechsel

    Liebe Grüße,

    Sarah

    • karo
    • 8. November 2016
    Antworten

    Ich habe dein Post mit Tränen in den Augen gelesen.
    Ich bin grade in der gleichen Situation, da weiße ich,wovon du spricht. Wo das erste Kind die meiste Zeit an der zweite Reihe steht, man ist müde, manchmal auch todsmüde, und da wünscht man sich nichts anderes als die eigene RUHE nur für die 15 Minuten. Da hat man aber noch ein zweites Kind, das in diesem Moment essen, trinken was auch immer haben möchte.??
    Ich habe im Speicher ein Post Schenk mir ein bisschen Zeit ob ich dem irgendwann veroffentliche weiße ich noch nicht. Ab 2 Wochen weht bei uns ein anderes Wind, jeder wird ,, gleich´´ behandelt, klar die Kleine braucht mehr Aufmerksamkeit als die Große aber trotzdem spielen wir jeden Abend zusammen, und machen Spaß nur zu DRITT, wenn die kleine schon am schlafen ist.

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